Manifest gegen die Arbeit

Gruppe Krisis, Manifest gegen die Arbeit, Eigenverlag, Moosdruck Leverkusen 1999, 50 S., 5 DM

"Proletarier aller Länder, macht Schluß!" So endet ein Text der Gruppe Krisis (ND-Kolumnist R. Kurz u.a.). Beschworen wird kein Klassenkampf-Gespenst, auch keine Zurückdrängung der Kapitaldominanz. Ersteres wird als beendet erklärt, letzteres als Unsinn. Zu Felde gezogen wird gegen Arbeit, nicht etwa gegen die vergängliche Form der Lohn-Arbeit, sondern gegen Arbeit überhaupt. "Der Papst und die Weltbank, Tony Blair und Jörg Haider, Gewerkschaften und Unternehmer, deutsche Ökologen und französische Sozialisten [hier fehlt die Kapital-Bändigerin PDS – UW]. Sie alle kennen nur eine Parole: Arbeit, Arbeit, Arbeit!" Ein hilfloser Ruf, denn "die von der Arbeit beherrschte Gesellschaft erlebt keine vorübergehende Krise, sie stößt an ihre absolute Schranke. [...] Die Reichtumsproduktion hat sich im Gefolge der mikroelektronischen Revolution immer weiter von der Anwendung menschlicher Arbeitskraft entkoppelt." Warum erhalten Staat und Parteien künstlich das zunehmend basislose Arbeitsethos? Im alten England, in der UdSSR und anderswo mit Ideologie und Terror in Hirne und Herzen gepreßt, ist es unverzichtbar für den Kapitalismus. Ein antiemanzipatorischer Arbeits-Etatismus simuliert also mit Beschäftigungsprogrammen, Zwangsarbeit für Sozialhilfe, Standortssubventionen usw. eine arbeitsgesellschaftliche Normalität. Es entsteht eine neo-sozialstaatliche Apartheid.

Mit Marx ("Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein [...], bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen.") wird das Dilemma der Arbeitsfetischisten als Chance zur Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft verstanden. Dies Verständnis der historischen Situation ermöglicht provokative Wertungen: "Sozialisten und Konservative, Demokraten und Faschisten haben sich bis aufs Messer bekämpft, aber [...] immer gemeinsam dem Arbeitsgötzen geopfert. ‘Die Müßiggänger schiebt beiseite’ [...] und ‘Arbeit macht frei’. [...] alle ideologischen Gegensätze [sind] nahezu verflüchtigt." Kapital und Arbeit sind bloß Widersprüche "innerhalb des kapitalistischen Selbstzwecks. Der Klassenkampf [...] gehörte der inneren Bewegungsdynamik der Kapitalverwertung an." Die Strukturen ("Führer und Geführte, Promis und Fußvolk") der Arbeiterparteien waren "integraler Bestandteil" kapitalistischer Systemlogik. "Spätestens seit den Nazis sind alle Parteien Arbeiterparteien und gleichzeitig Parteien des Kapitals." Im Ostens "staatsterroristische Parteien der nachholenden Modernisierung; im Westen [...] ‘Volksparteien’ mit auswechselbaren Programmen und medialen Repräsentationsfiguren." Mit der Arbeitsgesellschaft ist auch der Klassenkampf am Ende. Wenn "die Produktivkräfte über das System der Arbeit hinauswachsen, läuft das positive staatliche Recht ins Leere, das sich immer nur auf Subjekte der Arbeit beziehen kann." Von keiner Politik aufhaltbar verwildern die Staatsapparate zu korrupter Kleptokratie. Es wird zu Recht davor gewarnt, ein billiges Feindbild zu pflegen, das raffende spekulierende Kapital anzuprangern und dagegen "ehrliche Arbeit", das schaffende Kapital, zu beschwören. Bis zum Antisemitismus ist es dann nur ein kleiner Schritt. Garantiertes Existenzgeld zu fordern, setzt ebenso ignorant das "Weiterfunktionieren der globalen Arbeitsgesellschaft voraus" und muß "auf eine privelegierte Position des ‘eigenen’ Landes in der globalen Konkurrenz setzen, um einige Millionen kapitalistisch ‘überflüssiger’ Mitesser zuhause durchzufüttern."

Nach dem Ende der Arbeitsgesellschaft kann die bisher in Ost und West "undenkbare gesellschaftlich-institutionelle Identität von Produzenten und Konsumenten" hergestellt werden. Die entfremdeten Institutionen von Markt und Staat werden ablösbar. Krisis schlägt so vom heutigen Kapitalismus geistig eine Brücke zur kommunistischen Formation und dies nicht mittels proletarischer Klassenkämpfe und Diktaturen, nicht über Parlamente, Parteien und Staatsapparate. Das ist kühn, bleibt aber nebelhaft und erscheint doch realistischer als der Glaube, über Tobin-Steuern, Beschäftigungsprogramme und sonstige Tricks wenigstens für die Standortpriveligierte aus der kapitalistischen Produktionsweise noch etwas Zivilisation herausquetschen zu können.

Warum aber wurde nicht ein Manifest gegen die LOHN-Arbeit geschrieben? Sicher kann man die kommunistische Form der zweckmäßigen "Aneignung des Natürlichen", der ewigen "Naturbedingung der menschlichen Existenz" (Marx), Tätigkeit statt Arbeit nennen und so sprachlich den der Lohn-Arbeit entgegengesetzten Charakter dieses Produzierens hervorheben: schöpferisch, nicht entfremdet, zeitlich drastisch beschränkt, unmittelbar auf Bedürfnisbefriedigung assoziierter Konsumenten/Produzenten, nicht mehr auf Verwertung von Wert gerichtet. Im Wesen geht es aber darum, eine spezifisch gesellschaftliche Form der Arbeit, die Tauschwert setzende Lohn-Arbeit aufzuheben. Der Arbeitsbegriff der Krisis-Gruppe hat diese Marxsche Tiefe nicht. Kritiken bisheriger Arbeits-Formen und -Ethik werden so moralisierend und denunziatorisch. Kapitalismus erscheint ausschließlich als historischer Unglücks-Zufall, ein sozialistischer Ausbruch von allen Formationen aus möglich, nur abhängig von der Einsicht in die Schändlichkeit entfremdeter Arbeit, von Aufklärung durch Auserwählte und von radikalem Freiheitsstreben. Warum wird so hinter Marx’ Kapital, die Grundrisse und die Feuerbachthesen zurückgegangen? Warum werden statt wissender Radikalität Gefühle gegen ein billiges abstraktes Feindbild – die Arbeit – aufgeputscht? Auch davor ist zu warnen. Mit diesem Ansatz ist es auch unerklärlich, warum gerade heute ein Ausbruch aus der [Lohn-]Arbeit möglich sein sollte. Tatsächlich neue materielle Elemente sowie Mentalitäten, durch die sich assoziierende Individuen befähigen könnten, eine neue Gesellschaft zu begründen, geraden so nicht ins Blickfeld. Und die Frage nach zukünftigen Formen umwälzender sozialer Bewegungen wird zur Glaubenssache. Vom Rezensenten geteilte Behauptungen (die Arbeiterbewegung kann Lohnarbeit, ihre Existenzbedingung, gar nicht aufheben; über die Staatsmacht ist nichts Emanzipatorisches [mehr] zu holen), hängen hier argumentativ in der Luft. Trotz der Hinweise auf freie Assoziationen und Räte bleiben die Alternative zum Kapitalismus und der Weg dahin im mythischen Dunkel.

Möglich, daß für geschichtsmaterialistisches Denken jede Streitschrift gegen Arbeit überhaupt unbegreifbar ist. Doch gerade weil die Krisis-Leute das Thema Arbeit mutig-provokativ zur Diskussion stellen und zwar mit dem Blick auf eine Überwindung des Kapitalismus, ist ein Streit mit ihnen allemal sinnvoller, als Programmdiskussionen darüber, wie an abgenuddelte Schräubchen staatskapitalistischer Regulierungen heranzukommen sei. Ulrich Weiß 485 66 47

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